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von Norman, am 25. Feb. 10 1 Kommentar
Nicht nur breit in der Spur – Eleganz aus Kettwig
Optiktuning. Ein probates Mittel im Ruhrgebiet, um auch der letzten Ranzbimmel mit Rest-TÜV Individualität und Sportivität aufzuzwingen. Während sich im neuen Jahrtausend das Personalisieren des eigenen KFZ auf beleuchtete Wischerdüsen und nicht UV-beständige Außenspiegel im angesagten M3-Look beschränkt, langte man in den Achtzigern im Ruhrgebiet noch richtig in den GFK-Pott. Doch wer Breitbauten nur den Ford Capris und Berti Mantas dieser Zeit zuspricht, der irrt. KüWe Special-Tuning aus dem snobbigen Essen-Kettwig nahm sich vor zwanzig Jahren in der ehemaligen Scheidtschen Tuchfabrik den Vernunfts-Autos aus Hiroshima an.
Spröden Mazda 323 und 626 wurde außen genauso viel Kunststoff verpasst wie bei Auslieferung bereits innen vorhanden war, wobei schmucke Holzlenkräder gekonnt Akzente bei der Interieurgestaltung setzten um dem Kunststoff-Overkill optisch Einhalt zu bieten. Der Breitbau schlug mit 8.000 DM zu Buche. Nicht wenig, wenn man bedenkt, dass ein 1987er 626 neu ab 25.000 DM zu haben war. Das Kunststoff-Fachblatt TUNING zeigte sich von den Fahreigenschaften eines KüWe-Mazdas mit Sportfahrwerk im Juni 1988 größtenteils zufrieden. So sei ein ausreichendes Maß an Komfort weiterhin vorhanden und das neutrale Fahrverhalten sorge für ein gutes Sicherheitsgefühl hinterm Steuern. Dafür setze das Untersteuern im Grenzbereich plötzlich und heftig ein, was aber durch den markanten Dreirohr-Auspuff, welcher immerhin für eine Mehrleistung von 10 PS sorgen soll, relativiert wird, weil der richtig toll aussieht. Schließlich sähen alle Japan-Autos, ganz gleich ob Mazda oder Toyota, ansonsten gleich aus und dank der Produkte von Küntzel und Wetterhahn hebe man sich aus der stereotypen automobilen Masse aus Fernost wohltuend ab.
Doch KüWe konnte mehr als bloß spröde Mittelklasse-Mazdas mit dicken Backen ausrüsten. Einen Namen machte man sich in der Bachstraße 76 in Kettwig vorrangig mit heiß gemachten Mazda RX-7, die schon von Haus aus alles andere als Standardfortbewegungsmittel waren. Neben dem obligaten Breitbau und Kunststoffschwellern für die seltenen Lorenz-Cabrioumbauten auf RX-7-Basis, lieferte KüWe auch ernstzunehmendes Tuning für unter der Haube. Turbosätze und Rennvergaseranlagen für den sportlichen Wankel-Renner fanden genauso bundesweit Abnehmer wie hochgezüchtete Komplett-Motoren. Irgendwann Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger war dann aber schon wieder Schluss mit Special-Tuning von Küntzel und Wetterhahn. Der Legende zufolge hatten sich die beiden Geschäftsführer in die Haare bekommen und die Mazda-Werke entzogen den beiden GFK-Gurus zu allem Überfluss noch die offizielle Vertriebslizenz. Hansjürgen Küntzel gründete daraufhin die Euro-Off-Road GmbH in Mülheim an der Ruhr und handelte in der Aktienstraße 266 mit Geländewagen, wobei es diese Firma mittlerweile auch nicht mehr gibt. Was aus Herrn Wetterhahn wurde, ist nicht bekannt.
Von den „exclusiv gestylten Eleganten” überlebten zum Glück nicht viele Autos die Neunziger, in denen Kunststoffanbauten spätestens nach „Manta, Manta” bundesweit verlacht wurden. Die Autos fielen in ein tiefes Preistal, in dem die meisten kaputtgeheizt und verschlissen wurden. Nur wenige KüWe-Mazdas haben bis heute überlebt, die jedoch von einer überzeugten Gemeinde am Laufen gehalten werden. Von den umgebauten RX-7 soll es nur noch zwei Stück geben, wobei einer in Düsseldorf zugelassen ist, und ein rotes 626 GC Cabrio zuletzt 2005 in Essen-Kettwig gesichtet wurde. In der Bachstraße 76 haben sich in die Räumlichkeiten der Tuning-Bude in der Zwischenzeit eine Medienagentur und ein „Institut für ganzheitliches Heilen” eingefunden. Keine Spur mehr von Mahagoni-Lenkrädern und Dreirohr-Auspuffen.
Breitbau-Autos werden heutzutage immer noch konsequent zurückgerüstet und wieder in den schlanken Ursprungszustand versetzt. Es wird noch ein Jahrzehnt dauern, ehe man auch dieser Laune der Popkultur den Status des erhaltenswerten Kulturgutes einräumen wird, genauso wie Armeen von Männern zwischen Dortmund und Duisburg sehnsüchtig auf die Renaissance der gesellschaftlichen Akzeptanz von Oberlippenbärten und Baumwollhosen mit Allover-Print warten.
Fotos: Privatarchiv H. Schimanski
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